Aus dem Arbeitsalltag einer ambulanten Pflegekraft

12.04.2021

Alltag einer ambulanten Pflegekraft
Der Frühdienst: Morgens kommen die Schwestern „auf Station“, so nennen wir Pflegekräfte die Büroräume der Pflegedienstleitung (PDL) und deren Vertretung sowie mehrere Schwesternzimmer. Hier wird alles Wichtige, sowohl Organisatorisches als auch Patientenspezifisches, besprochen, vor allem aber das, was für den jeweiligen Tag oder die kommende Woche anfällt. Außenstehende wissen meist nicht, was mit unserer „Station“ gemeint ist. Sie denken dabei vielleicht an Stationen in Krankenhäusern oder in Altenheimen. Wir sind aber im ambulanten Dienst, und trotzdem heißt es bei uns „die Station“. Unser Anliegen ist es, dass alle Patienten zufrieden sind, und dass auch für uns Pflegekräfte immer ein Ansprechpartner da ist. Die erste Aufgabe der Pflegekraft ist morgens, nachdem sie „auf Station“ angekommen ist, den Tagesplan zu sichten. Es könnte ein Patient abgesagt haben, z.B. wegen eines eingeschobenen Arzttermins. Die dann aufzusuchenden Patienten sind mit Namen in einem „Übergabebuch“ eingetragen. Danach nimmt jede Schwester ihr Tourenbuch. Das ist das Buch, in dem neben Namen und Anschrift der Patienten auch die dazugehörigen Verrichtungen sowie die Wochentage und Schlüsselnummern notiert sind. Wenn der Patient es wünscht, überlässt er der Pflegekraft seine Hausschlüssel. Das ist für beide eine Entlastung: Zum einen für den Patienten, wenn er bettlägerig oder gehbehindert ist, zum anderen für die Pflegekraft, die dann an kalten, frostigen Tagen nicht vor der Haustür warten muss. Dann werden noch Patienteninformationen ausgetauscht, manchmal neue Verordnungen besprochen und die betreffende Schwester dahingehend informiert. Nach einem kleinen Plausch untereinander und dem Wunsch nach einer ruhigen Tour, sollte man auf die Uhr schauen, denn es geht zu den ersten Patienten, die bereits auf das Anziehen ihrer Kompressionsstrümpfe oder auf ihre Insulinspritzen warten.
Meine persönliche Ansicht: Ich habe mich für die ambulante Station entschieden, weil ich mich einerseits gerne mit Kolleginnen austausche, andererseits auch gerne alleine meine Arbeit verrichte. Die ambulante Pflege deckt für mich gleich beide Wünsche ab. Außerdem kann ich im Auto meine Lieblingsmusik hören, und wenn ich mal schlecht gelaunt oder traurig bin, merkt es niemand. Manchmal möchte ich einfach nur meine Ruhe haben, und so bleiben andere Kolleginnen von meinen Emotionen verschont. Was die ambulante Arbeit für mich besonders attraktiv macht, ist, dass ich viel an die frische Luft komme. Egal zu welcher Jahreszeit, ich bekomme jede Wetterlage mit. Ich finde es schön, im Regen zu laufen. Gerne gehe ich auch zu Fuß die Treppen hoch und verzichte manchmal auf die Fahrstühle in den Hochhäusern – okay, nicht gerade bis zum 11. Stock, aber das hält mich fit. In manchen Wohngegenden ist es schwer, einen Parkplatz zu finden, besonders im Spätdienst. So lernt man auch einzuparken, egal, wie klein die Lücke ist.
Natürlich ist nicht alles bei meiner Arbeit nur angenehm, aber ich möchte sie trotzdem nicht missen. Manche Patienten haben Wünsche, die wir Schwestern nicht erfüllen können. Es sind Aufgaben, die nur in der Hand des behandelnden Arztes des jeweiligen Patienten liegen, wie z.B. das Verordnen von Medikamenten. Manchmal kommt uns auch Unverständnis und Unfreundlichkeit entgegen. Da ist dann die Professionalität der Schwestern gefragt, den Patienten zu erklären, dass wir in jedem Fall die rechtliche Lage zu beachten haben. Und meistens wird unsere Erklärung auch gut angenommen. Der Ton macht bekanntlich die Musik. Die Patienten und die Angehörigen möchten nur unsere Vorgehensweise verstehen und nachvollziehen können, dann können sie es auch meistens akzeptieren. Als ich neu angefangen habe und die Stammschwester nicht vor Ort war, habe ich erlebt, dass manche Patienten unfreundlich waren. Ich nahm ihr Verhalten aber nicht persönlich. Ich unterhielt mich zuerst ein wenig mit ihnen und beteuerte, dass ich mich an ihrer Stelle genauso unwohl fühlen würde, wenn plötzlich eine fremde Pflegekraft in meiner Wohnung stünde. Ich glaube, es bricht oft das Eis, wenn man sich in den Menschen einfühlen und ihm verständlich machen kann, dass man seine Angst und seine Verunsicherung ernst nimmt. Ich sehe nicht nur den Patienten, sondern nehme auch den Menschen in ihm wahr. Ich gehe immer mit dieser Einstellung zu den Patienten. Sie brauchen uns, und ich möchte ihnen, soweit ich es kann, kompetent und empathisch entgegentreten und sie in ihrer Würde schützen.
Ich denke, dass ich genug von unserem Arbeitsalltag berichtet habe und möchte noch die zwei Seiten beleuchten, die jede Pflegekraft jeden Tag an Eindrücken mit nach Hause nimmt: traurige, nachdenkliche und heitere Situationen.
Zuerst die heitere Situation: Wir Pflegekräfte müssen uns ja stets an Hygienemaßnahmen halten. Da wir in Corona-Zeiten leben, tragen wir den Mund-Nasenschutz nun ständig während des Aufenthalts in der Patientenwohnung. Die Patienten müssen diesen genauso tragen, sobald wir die Wohnung betreten haben. Meine Kollegin und ich waren bei einem leicht dementen Herrn, und als wir in die Wohnung kamen, sahen wir, dass er keinen Mundschutz trug. Also bat ihn meine Kollegin, diesen aufzusetzen. Während wir in die Patientenmappe schauten, fragte er uns, ob der Mundschutz so richtig angezogen sei. Wir drehten uns um und bemerkten, dass er die Maske zwar am Gesicht und die Gummis hinter den Ohren hatte, aber der Schutz, sehr schön und glatt gestrichen, auf seiner Stirn lag. Meine Kollegin sagte ihm freundlich, wo der Mund-Nasenschutz angebracht sein sollte. Der Patient war richtig verwundert und fragte, warum das so sei. „Dann kann ich mich ja nicht mehr mit Ihnen unterhalten“, meinte er, „nein, das ginge gar nicht“. Schließlich hat er es doch noch eingesehen und die Maske an die richtige Stelle gebracht. Wir konnten nur mit Mühe unser Lachen unterdrücken. Das war ein lustiges Erlebnis.
Nun einer der traurigen Momente: Die Ehefrau eines Patienten ist schwer an Krebs erkrankt. Sie war äußerlich fast nicht mehr wiederzuerkennen, da sie ganz dünn geworden war, die Haare waren ihr ausgefallen, und die Augen lagen tief in den Höhlen.
Ich sprach mit ihr, als ich mit ihrem Ehemann ins Bad ging, aber sie hörte mich nicht. Die Frau saß am Bettrand und hatte den Kopf auf ihre Hände, die Ellenbogen auf die Knie gestützt. In diesem Moment hatte ich das Gefühl, dass der Tod in ihrem Zimmer stand und ihr seine Hand hinhielt und dabei flüsterte: „Komm, komm mit mir und ruhe dich endlich aus!“ Sie war noch zu verzweifelt, um zum Gehen bereit zu sein.
Solche Momente mit den genannten Eindrücken nehmen alle Pflegekräfte mit nach Hause. Das ist nicht einfach „nur Pflege“, es ist viel mehr. Viele nennen es den Blick in die nackte Realität des Pflegealltags. Im häuslichen Bereich des Patienten gelten nicht die Gesetze der Gesunden, sondern seine eigenen. Er entscheidet, was und wann er etwas möchte. Das ist das Besondere in der ambulanten Pflege und das Wichtigste für den Patienten. Ich habe schon verschiedene Jobs ausgeübt, aber die ambulante Pflege möchte ich nicht mehr verlassen, denn sie gibt mir einen Einblick in das wahre Leben und den Menschen, unverblümt und echt, manchmal traurig, manchmal heiter, aber immer menschlich!
Nina Russo Karcher